Von Oliver Höner und Eve Davidian
Das stärkere und aggressivere Geschlecht dominiert das schwächere Geschlecht? Diese Sichtweise ist weit verbreitet, wird aber der Komplexität der Dominanzbeziehungen zwischen Weibchen und Männchen nicht gerecht. In unserer neuen Arbeit verbündeten wir uns mit 18 Wissenschaftlern und verglichen die Dominanzbeziehungen zwischen Männchen und Weibchen bei neun Säugetierarten: sieben Primatenarten, Klippschliefer und… Tüpfelhyänen! Dabei stellten wir fest, dass Dominanzbeziehungen überwiegend auf aggressivem Verhalten beruhen, wenn die Gemeinschaften von Männchen dominiert werden. Im Gegensatz dazu setzen Gemeinschaften, die von Weibchen dominiert werden, vermehrt auf Signale und Gesten.






Gruppenlebende Tiere bilden oft klare Dominanzhierarchien, bei denen jedes Gruppenmitglied jederzeit weiß, wo es in der sozialen Leiter steht. Solche Hierarchien sind ein wirksames Mittel zur Vermeidung von eskalierender Gewalt und Verletzungen bei Streit um Ressourcen. Die Hierarchien lassen sich aus Begegnungen zwischen jeweils zwei Gruppenmitgliedern ableiten; das Tier, das sich dabei unterwürfig verhält, ist das Unterlegene und tiefer rangige.
Bis vor kurzem konzentrierten sich die meisten Studien zu Dominanz und Macht auf Hierarchien, die sich aus Interaktionen zwischen Männchen oder zwischen Weibchen ableiten, also auf getrennte, ‚intrasexuelle‘ Hierarchien. Dies erweckt den Eindruck, dass Männchen und Weibchen in getrennten Welten leben. Das ist aber meist nicht der Fall: Bei vielen Arten, die in Gruppen leben, konkurrieren Männchen und Weibchen um dieselben Ressourcen und interagieren häufig. Wenn dann die Geschlechter getrennt untersucht werden, bleiben wichtige Aspekte des sozialen und sexuellen Lebens der Tiere im Dunkeln.
Zusätzlich erschwert wurde die Forschung zu den Dominanzverhältnissen zwischen Männchen und Weibchen dadurch, dass Wissenschaftler für die Erstellung der Hierarchien oft unterschiedliche, an ihre spezifische Studienart angepasste Methoden und Verhaltensweisen verwendeten. Dadurch waren Vergleiche zwischen Tierarten, um Muster zwischen den Arten zu erkennen, ein Ding der Unmöglichkeit.




Um solche Vergleiche zu ermöglichen, analysierten wir in einem ersten Schritt Verhaltensbeobachtungen von neun Säugetierarten. Wir ermittelten die Ergebnisse von 11.499 Dominanz-Interaktionen zwischen Männchen, zwischen Weibchen, und zwischen Männchen und Weibchen. Anschließend wendeten wir eine Reihe gängiger Methoden an, um alle Mitglieder einer Gruppe in eine Rangfolge zu bringen und für jede Gruppe und Art die ‚intersexuelle‘ Dominanzhierarchie zu erstellen. Auf der Grundlage dieser Hierarchien berechneten wir dann den Grad der Dominanz der Weibchen gegenüber den Männchen anhand von fünf verschiedenen Indizes.


Wir stellten fest, dass die Rangfolge der Individuen in allen Dominanzhierarchien gleich war, unabhängig von der verwendeten Methode, und dass alle Indizes der weiblichen Dominanz stark miteinander korrelierten. Diese Ergebnisse sind ermutigend, denn sie zeigen, dass die Hierarchien und der daraus resultierende Grad der weiblichen Dominanz, die aus diesen Methoden und Indizes abgeleitet werden, robust und vergleichbar sind.
Ein weiteres, sehr erfreuliches Ergebnis war, dass die intersexuelle Dominanz entlang eines Kontinuums von strikter männlicher Dominanz (bei Chacma-Pavianen) bis zu strikter weiblicher Dominanz (bei Verreaux’s Sifakas) variiert und auch Arten umfasst, bei denen sich Männchen und Weibchen die Macht teilen und ‚ko-dominieren‘. Unsere Ergebnisse bestätigten zudem, dass der Grad der weiblichen Dominanz innerhalb einer Art von einer Gruppe zur anderen variieren kann. Besonders auffällig war dies bei Grünen Meerkatzen und Klippschliefern (siehe hier für ähnliche Unterschiede bei Tüpfelhyänen).


In einem zweiten Schritt untersuchten wir, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der weiblichen Dominanz bei einer Art und ihrem ‚Dominanzstil‘ gibt, also ob sich Individuen mehr auf bestimmte Verhaltensweisen verlassen als andere, um ihre Dominanzbeziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck mussten wir zunächst die Kennzeichnung der Verhaltensweisen bei den neun Arten standardisieren.
Standardisierung ist der Schlüssel für Vergleiche. Jede Art verhält sich auf ihre eigene, einzigartige Art und Weise, und bestimmte Handlungen und Signale können bei verschiedenen Arten unterschiedliche Bedeutungen haben – so gilt zum Beispiel bei den Tüpfelhyänen das Aufstellen des Schwanzes als aggressives Signal, während es bei Chacma-Pavianen als unterwürfiges Signal gilt. Für die Analysen verwendeten wir vier standardisierte Kategorien von Verhalten:
- Aggressive Handlungen: z. B. Jagen, Beißen, sich auf den Gegner stürzen;
- Unterwürfige Handlungen: z. B. zurückweichen, zur Seite springen;
- Aggressive Signale: z. B. Schwanz aufstellen (Tüpfelhyänen), aufstehen, starren;
- Unterwürfige Signale: z. B. Schwanz aufstellen (Chacma-Pavianen), Grimassen schneiden, Ohren anlegen, Grunzlaute von sich geben.
Unsere Ergebnisse zeigten auffällige Unterschiede im Dominanzverhalten, je nachdem, ob die Gesellschaft überwiegend von Männchen oder von Weibchen dominiert wurde. Je höher der Grad der weiblichen Dominanz war, desto seltener setzten die Tiere Aggressionen ein, um ihre Dominanzbeziehungen zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Genauer gesagt: Bei stark weiblich dominierten Arten wie den Tüpfelhyänen zeigen Tiere beiderlei Geschlechts häufiger unterwürfige Signale und setzen seltener aggressives Verhalten ein als bei männlich dominierten Arten wie Chacma-Pavianen, bei denen Aggression vorherrscht. Damit ist es vorbei mit der hartnäckigen Behauptung, dass Tüpfelhyänen – insbesondere die Weibchen – hyperaggressive Bestien sind…


Mit dieser Arbeit zeigen wir, dass wir über robuste methodische Instrumente verfügen, um intersexuelle Beziehungen bei gruppenlebenden Arten auf standardisierte Weise zu untersuchen. Unsere Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass es strukturelle Unterschiede zwischen männlich und weiblich dominierten Gesellschaften gibt, was sehr interessant ist und eingehender untersucht werden sollte. Die Arbeit stellt damit ein Sprungbrett für konzeptionelle Studien dar, wie z. B. Studien über die ökologischen und evolutionären Ursachen der Variation der intersexuellen Dominanz innerhalb und zwischen Tiergesellschaften.
Originalarbeit:
Kappeler PM*, Huchard E*, Baniel A, Canteloup C, Charpentier MJE, Cheng L, Davidian E, Duboscq J, Fichtel C, Hemelrijk CK, Höner OP, Koren L, Micheletta J, Prox L, Saccà T, Seex L, Smit N, Surbeck M, van de Waal E, Girard-Buttoz C (2022) Sex and dominance: How to assess and interpret intersexual dominance relationships in mammalian societies. Frontiers in Ecology and Evolution 710.
Weitere Informationen
Davidian E*, Surbeck M, Lukas D, Kappeler PM, & Huchard E* (2022) The eco-evolutionary landscape of power relationships between males and females. Trends in Ecology & Evolution 37(8):706-718.
Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A*, Höner OP* (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3:71-76. *contributed equally