Wenn Weibchen herrschen, gibt’s weniger Aggression

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Von Oliver Höner und Eve Davidian

Das stärkere und aggressivere Geschlecht dominiert das schwächere Geschlecht? Diese Sichtweise ist weit verbreitet, wird aber der Komplexität der Dominanzbeziehungen zwischen Weibchen und Männchen nicht gerecht. In unserer neuen Arbeit verbündeten wir uns mit 18 Wissenschaftlern und verglichen die Dominanzbeziehungen zwischen Männchen und Weibchen bei neun Säugetierarten: sieben Primatenarten, Klippschliefer und… Tüpfelhyänen! Dabei stellten wir fest, dass Dominanzbeziehungen überwiegend auf aggressivem Verhalten beruhen, wenn die Gemeinschaften von Männchen dominiert werden. Im Gegensatz dazu setzen Gemeinschaften, die von Weibchen dominiert werden, vermehrt auf Signale und Gesten.

Gruppenlebende Tiere bilden oft klare Dominanzhierarchien, bei denen jedes Gruppenmitglied jederzeit weiß, wo es in der sozialen Leiter steht. Solche Hierarchien sind ein wirksames Mittel zur Vermeidung von eskalierender Gewalt und Verletzungen bei Streit um Ressourcen. Die Hierarchien lassen sich aus Begegnungen zwischen jeweils zwei Gruppenmitgliedern ableiten; das Tier, das sich dabei unterwürfig verhält, ist das Unterlegene und tiefer rangige.

Bis vor kurzem konzentrierten sich die meisten Studien zu Dominanz und Macht auf Hierarchien, die sich aus Interaktionen zwischen Männchen oder zwischen Weibchen ableiten, also auf getrennte, ‚intrasexuelle‘ Hierarchien. Dies erweckt den Eindruck, dass Männchen und Weibchen in getrennten Welten leben. Das ist aber meist nicht der Fall: Bei vielen Arten, die in Gruppen leben, konkurrieren Männchen und Weibchen um dieselben Ressourcen und interagieren häufig. Wenn dann die Geschlechter getrennt untersucht werden, bleiben wichtige Aspekte des sozialen und sexuellen Lebens der Tiere im Dunkeln.

Zusätzlich erschwert wurde die Forschung zu den Dominanzverhältnissen zwischen Männchen und Weibchen dadurch, dass Wissenschaftler für die Erstellung der Hierarchien oft unterschiedliche, an ihre spezifische Studienart angepasste Methoden und Verhaltensweisen verwendeten. Dadurch waren Vergleiche zwischen Tierarten, um Muster zwischen den Arten zu erkennen, ein Ding der Unmöglichkeit.

Um solche Vergleiche zu ermöglichen, analysierten wir in einem ersten Schritt Verhaltensbeobachtungen von neun Säugetierarten. Wir ermittelten die Ergebnisse von 11.499 Dominanz-Interaktionen zwischen Männchen, zwischen Weibchen, und zwischen Männchen und Weibchen. Anschließend wendeten wir eine Reihe gängiger Methoden an, um alle Mitglieder einer Gruppe in eine Rangfolge zu bringen und für jede Gruppe und Art die ‚intersexuelle‘ Dominanzhierarchie zu erstellen. Auf der Grundlage dieser Hierarchien berechneten wir dann den Grad der Dominanz der Weibchen gegenüber den Männchen anhand von fünf verschiedenen Indizes.

Wir stellten fest, dass die Rangfolge der Individuen in allen Dominanzhierarchien gleich war, unabhängig von der verwendeten Methode, und dass alle Indizes der weiblichen Dominanz stark miteinander korrelierten. Diese Ergebnisse sind ermutigend, denn sie zeigen, dass die Hierarchien und der daraus resultierende Grad der weiblichen Dominanz, die aus diesen Methoden und Indizes abgeleitet werden, robust und vergleichbar sind.

Ein weiteres, sehr erfreuliches Ergebnis war, dass die intersexuelle Dominanz entlang eines Kontinuums von strikter männlicher Dominanz (bei Chacma-Pavianen) bis zu strikter weiblicher Dominanz (bei Verreaux’s Sifakas) variiert und auch Arten umfasst, bei denen sich Männchen und Weibchen die Macht teilen und ‚ko-dominieren‘. Unsere Ergebnisse bestätigten zudem, dass der Grad der weiblichen Dominanz innerhalb einer Art von einer Gruppe zur anderen variieren kann. Besonders auffällig war dies bei Grünen Meerkatzen und Klippschliefern (siehe hier für ähnliche Unterschiede bei Tüpfelhyänen).

In einem zweiten Schritt untersuchten wir, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der weiblichen Dominanz bei einer Art und ihrem ‚Dominanzstil‘ gibt, also ob sich Individuen mehr auf bestimmte Verhaltensweisen verlassen als andere, um ihre Dominanzbeziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck mussten wir zunächst die Kennzeichnung der Verhaltensweisen bei den neun Arten standardisieren.

Standardisierung ist der Schlüssel für Vergleiche. Jede Art verhält sich auf ihre eigene, einzigartige Art und Weise, und bestimmte Handlungen und Signale können bei verschiedenen Arten unterschiedliche Bedeutungen haben – so gilt zum Beispiel bei den Tüpfelhyänen das Aufstellen des Schwanzes als aggressives Signal, während es bei Chacma-Pavianen als unterwürfiges Signal gilt. Für die Analysen verwendeten wir vier standardisierte Kategorien von Verhalten:

  1. Aggressive Handlungen: z. B. Jagen, Beißen, sich auf den Gegner stürzen;
  2. Unterwürfige Handlungen: z. B. zurückweichen, zur Seite springen;
  3. Aggressive Signale: z. B. Schwanz aufstellen (Tüpfelhyänen), aufstehen, starren;
  4. Unterwürfige Signale: z. B. Schwanz aufstellen (Chacma-Pavianen), Grimassen schneiden, Ohren anlegen, Grunzlaute von sich geben.

Unsere Ergebnisse zeigten auffällige Unterschiede im Dominanzverhalten, je nachdem, ob die Gesellschaft überwiegend von Männchen oder von Weibchen dominiert wurde. Je höher der Grad der weiblichen Dominanz war, desto seltener setzten die Tiere Aggressionen ein, um ihre Dominanzbeziehungen zu etablieren und aufrechtzuerhalten. Genauer gesagt: Bei stark weiblich dominierten Arten wie den Tüpfelhyänen zeigen Tiere beiderlei Geschlechts häufiger unterwürfige Signale und setzen seltener aggressives Verhalten ein als bei männlich dominierten Arten wie Chacma-Pavianen, bei denen Aggression vorherrscht. Damit ist es vorbei mit der hartnäckigen Behauptung, dass Tüpfelhyänen – insbesondere die Weibchen – hyperaggressive Bestien sind…

Mit dieser Arbeit zeigen wir, dass wir über robuste methodische Instrumente verfügen, um intersexuelle Beziehungen bei gruppenlebenden Arten auf standardisierte Weise zu untersuchen. Unsere Ergebnisse deuten zudem darauf hin, dass es strukturelle Unterschiede zwischen männlich und weiblich dominierten Gesellschaften gibt, was sehr interessant ist und eingehender untersucht werden sollte. Die Arbeit stellt damit ein Sprungbrett für konzeptionelle Studien dar, wie z. B. Studien über die ökologischen und evolutionären Ursachen der Variation der intersexuellen Dominanz innerhalb und zwischen Tiergesellschaften.


Originalarbeit:

Kappeler PM*, Huchard E*, Baniel A, Canteloup C, Charpentier MJE, Cheng L, Davidian E, Duboscq J, Fichtel C, Hemelrijk CK, Höner OP, Koren L, Micheletta J, Prox L, Saccà T, Seex L, Smit N, Surbeck M, van de Waal E, Girard-Buttoz C (2022) Sex and dominance: How to assess and interpret intersexual dominance relationships in mammalian societies. Frontiers in Ecology and Evolution 710.

Weitere Informationen

Davidian E*, Surbeck M, Lukas D, Kappeler PM, & Huchard E* (2022) The eco-evolutionary landscape of power relationships between males and females. Trends in Ecology & Evolution 37(8):706-718.

Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A*, Höner OP* (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3:71-76. *contributed equally

Mensch-Raubtier-Konflikte: Emotionen und Kultur sind wichtiger als Viehverluste

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Von Arjun Dheer und Oliver Höner

Mensch-Wildtier-Konflikte sind meist vielschichtig und „Einheitslösungen“ gibt es nicht. Eines gilt jedoch immer: langfristig lösbar sind sie nur dann, wenn die betroffenen Menschen bei Managemententscheidungen zum Zusammenleben mit Wildtieren mit ins Boot genommen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Großraubtiere wie Wölfe, Löwen und Bären geht, denn zu Großraubtieren pflegen wir Menschen seit je her eine Hassliebe: wir bewundern ihre Kraft und Anmut, fürchten uns gleichzeitig jedoch vor Angriffen auf uns und unsere Nutztiere.

Wie erreicht man, dass Managementstrategien akzeptiert werden? Als erstes muss geklärt werden, welche Faktoren die Akzeptanz beeinflussen. Dabei lag der Fokus bisher meist auf der durch die Raubtiere verursachten Verluste an Vieh. Es galt: je mehr Vieh von Raubtieren gerissen wird, desto mehr Viehhalter befürworten die Umsiedlung oder den Abschuss von Raubtieren. Neuere Studien zeigten jedoch, dass auch andere Faktoren wichtig sein können: positive Emotionen wie Freude und die kulturelle Bedeutung erhöhen die Akzeptanz von naturschutzorientierten Managementstrategien, und negative Emotionen wie Furcht erhöhen die Akzeptanz invasiver Strategien. Diese Faktoren wurden bisher jedoch noch nie gleichzeitig untersucht. Folge: es ist unklar, was die Akzeptanz am stärksten beeinflusst und welche Faktoren bei der Suche nach Lösungen von Mensch-Raubtier-Konflikten favorisiert werden sollten.

Wie gingen wir der Frage nach? Wir untersuchten den Einfluss von Emotionen, kultureller Bedeutung und Viehverlusten auf die Akzeptanz der drei Managementstrategien ‚Nichtstun‘, ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘. Diese Strategien werden in unserem Untersuchungsgebiet, dem Ngorongoro-Schutzgebiet, aber auch in vielen anderen Gebieten angewandt, in denen sich Menschen und Großraubtiere den Lebensraum teilen.

Dazu befragten wir 100 Massai zur kulturellen Bedeutung der drei größten Raubtiere Afrikas (Tüpfelhyänen, Löwen, Leoparden) und den Emotionen (Freude, Abscheu, Furcht), die sie gegenüber den Raubtieren empfinden. Wir fragten zudem, wie viele ihrer Rinder, Ziegen, Schafe und Esel in den vorangegangenen drei Jahren von Raubtieren gerissen wurden, und wie stark sie welche Managementstrategien befürworten.

Das Ergebnis: Emotionen und die kulturelle Bedeutung beeinflussen die Akzeptanz von Managementstrategien stärker als der Verlust an Vieh. Bei den Emotionen hatte Freude den stärksten Einfluss; Freude und die kulturelle Bedeutung erhöhten die Akzeptanz von ‚Nichtstun‘ und reduzierten die Akzeptanz von ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘. Insgesamt lehnte eine große Mehrheit der Befragten ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘ ab. Der Verlust an Vieh war unbedeutend für die Akzeptanz der Managementstrategien, vielleicht weil viel mehr Vieh Krankheiten zum Opfer fällt als Raubtieren.

Die Erkenntnis:

Emotionale und kulturelle Aspekte sind wichtig für Mensch-Wildtier-Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass durch die Raubtiere verursachte Verluste an Vieh keine Rolle spielen, deutet aber darauf hin, dass ihre Rolle bisher überbewertet wurde. Mehrgleisige Ansätze, die Emotionen und die kulturelle Bedeutung untersuchen und die lokale Bevölkerung bei der Suche nach Lösungen eng miteinbinden, helfen, den Weg für ein dauerhaftes Zusammenleben von Menschen und Großraubtieren zu ebnen.


Original-Veröffentlichung:

Dheer A, Davidian E, Jacobs MH, Ndorosa J, Straka TM, Höner OP (2021) Emotions and cultural importance predict the acceptance of large carnivore management strategies by Maasai pastoralists. Frontiers in Conservation Science 23,1-13.


Macht ohne Muskeln: Warum bei Hyänen die Frauen dominieren

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Von Oliver Höner und Eve Davidian

In vielen Tiergesellschaften gibt es eine klare Hierarchie der Geschlechter. Dominiert dabei immer das aggressivere oder stärkere Geschlecht, wie allgemein angenommen wird? Nein! Zumindest bei Tüpfelhyänen dominieren die Weibchen, weil sie auf größere Unterstützung durch Artgenossen zählen können. Unterschiede in individuellen Eigenschaften wie Aggressivität oder körperliche Stärke spielen keine Rolle.

Tüpfelhyänenmännchen erhalten weniger soziale Unterstützung als ihre weiblichen Artgenossen, weil sie häufiger den Clan wechseln und dabei ihre sozialen Bindungen verlieren. Dies sind die Ergebnisse unserer neuesten, zusammen mit François Rousset vom Institut des Sciences de l’Evolution de Montpellier (ISEM) in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlichen Studie.

Tüpfelhyänenweibchen gelten als Paradebeispiel für mächtige und aggressive Weibchen. Sie sind schwerer als die Männchen, haben stark vermännlichte äußere Genitalien („Pseudohoden“ und einen „Pseudopenis“) und nehmen in der Regel die höchste Position in der Gesellschaft ein. Doch ist es nicht ihre Männlichkeit, die sie ihre männlichen Artgenossen dominieren lässt.

Wenn zwei Hyänen streiten, gewinnt diejenige, die auf mehr soziale Unterstützung zählen kann – unabhängig von Geschlecht, Gröβe oder Aggressivität. Dies gilt für nahezu alle Auseinandersetzungen in allen denkbaren Kontexten – zwischen im Clan geborenen und zugewanderten Hyänen, zwischen Tieren aus demselben oder verschiedenen Clans und zwischen Individuen gleichen sowie verschiedenen Geschlechts.

Die Dominanz der Weibchen liegt also darin begründet, dass sie auf größere soziale Unterstützung zählen können als die Männchen. Faszinierenderweise wirkt soziale Unterstützung auch dann, wenn keine anderen Hyänen anwesend sind oder sich niemand einmischt. Letztlich ist das Selbstbewusstsein entscheidend, also wie sicher sich jede Hyäne ist, Unterstützung zu erhalten wenn sie diese braucht.

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Für die Studie werteten wir 4133 Auseinandersetzungen zwischen 748 Tüpfelhyänen aus den acht Clans des Ngorongoro-Kraters in Tansania über einen Zeitraum von 21 Jahren aus. Um die Anzahl möglicher Unterstützer zweier Kontrahenten zu ermitteln, entwickelten wir einen Algorithmus, der für jedes Clanmitglied bestimmte, welchen der beiden Kontrahenten es unterstützen würde.

Der Algorithmus beruht auf vielen Beobachtungen von aktiver Unterstützung und auf den Verwandtschaftsgraden aller Clanmitglieder zueinander. Unser genetischer Stammbaum der Tüpfelhyänen des Ngorongoro-Kraters gehört zu den umfassendsten Stammbäumen wildlebender Säugetierpopulationen.

Klare Dominanzverhältnisse

Männliche und weibliche Hyänen können sich durchschnittlich in den meisten Situationen auf gleich große soziale Unterstützung verlassen und dominieren daher gleich viele Auseinandersetzungen mit dem anderen Geschlecht. Die einzige Ausnahme: wenn im Clan geborene Tiere mit zugewanderten Tieren interagieren. Die Hyänengesellschaft ist stark von Vetternwirtschaft geprägt, unterstützt werden also in erster Linie nahe Verwandte. Einheimische Clanmitglieder leben mit ihren Angehörigen zusammen und haben einen Vorteil gegenüber Zugewanderten, denn diese verlieren ihre sozialen Bande, wenn sie ihren angestammten Clan verlassen. Und weil die meisten Einwanderer Männchen sind, dominieren bei solchen Auseinandersetzungen fast immer die Weibchen.

Das Ausmaß der Weibchen-Dominanz bei Tüpfelhyänen hängt also von der Migrationsneigung der beiden Geschlechter und der demographischen Struktur der Clans ab. Wenn ein Clan einen hohen Anteil zugewanderter Männchen aufweist, ist die Herrschaft der Weibchen fast absolut. Gibt es viele einheimische Männchen, gewinnen Männchen statistisch ebenso häufig Auseinandersetzungen wie Weibchen und die Geschlechter sind gleichermaßen dominant.

Folgerungen der Studie:

Zu wissen, was soziale Dominanz und Geschlechterhierarchien verursacht, hilft uns, besser zu verstehen, wie Reproduktionsstrategien, Geschlechterrollen und Geschlechterkonflikte entstehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Dominanz eines Geschlechts keine direkte Folge des Geschlechts oder geschlechtsspezifischer individueller Eigenschaften sein muss, sondern vom sozialen Umfeld abhängen kann.

Die Erkenntnis, dass soziale Unterstützung eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Dominanz einnimmt, trägt zu einem vertieften Verständnis für die sozialen Auswirkungen von Vetternwirtschaft, politischen Allianzen sowie von Migration in tierischen und menschlichen Gesellschaften bei.


Originalartikel

Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A*, Höner OP* (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3:71-76. *trugen gleich viel bei

In den Medien

Das Hyänen-Phänomen. Die Macht des sozialen Netzwerks. Kerstin Viering, Berliner Zeitung, 19. November 2018.

Mehr Macht durch Freunde. Barbara Reye, Tagesanzeiger, 19. November 2018.

Weitere Informationen

Davidian E, Courtiol A, Wachter B, Hofer H, Höner OP (2016) Why do some males choose to breed at home when most other males disperse? Science Advances 2 e1501236.

Höner OP, Wachter B, East ML, Streich WJ, Wilhelm K, Burke T, Hofer H (2007) Female mate-choice drives the evolution of male-biased dispersal in a social mammal. Nature 448:798-801.


Fressen oder sich paaren, das ist hier die Frage

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Von Eve Davidian

Das ultimative Ziel aller lebenden Organismen ist es, sich fortzupflanzen. Um sich aber paaren zu können, muss man erst einmal lange genug überleben – und dafür muss man (fr)essen. Je mehr desto besser? Nun ja, eine gute Ernährung macht gesund, gibt Kraft und erhöht dadurch die Chancen beim anderen Geschlecht. Aber übermäßiges und gieriges Schlemmen kann auch von Nachteil sein.

So passierte es neulich Jage, einem Männchen aus dem Ngoitokitok Clan. Er wollte alles auf einmal: eine ausgiebige Mahlzeit und den Erfolg bei einem Hyänenweibchen. Am Ende musste er am eigenen Leib erfahren, dass man sich manchmal im Leben für eine Sache entscheiden muss. Nach monatelangem Werben gewann Jage die Gunst eines jungen, hochrangigen Weibchens seines Clans: Uvumiliva, „die Geduldige“ (Suaheli), war die Auserwählte. Aber es gab einen Haken: Jage hatte kurz zuvor kräftig gefuttert und sein Bauch war so prall gefüllt, dass er hinderlich war und Jage seine lang ersehnte Chance nicht ergreifen konnte.

Man muss dafür wissen, dass die Paarung für Tüpfelhyänen-Männchen auch unter normalen Umständen ein schwieriges Unterfangen ist. Das hat anatomische Gründe. Bei den Weibchen der Tüpfelhyänen ist die Klitoris stark verlängert und zu einem engen sogenannten Pseudopenis geformt. Eine erfolgreiche Paarung erfordert deshalb die volle Kooperation des Weibchens: sie muss dabei ruhig stehen, ihren Kopf senken und den Pseupopenis einziehen. Aber auch bei der vollen Bereitschaft des Weibchens braucht das Männchen akrobatische Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Die meisten Männchen benötigen viel Zeit und Übung, bis sie den Ablauf beherrschen. Männchen mit wenig Erfahrung sind meist ungeschickt und stellen die Geduld der Weibchen auf eine harte Probe.

An jenem Tag nahm Jage die Herausforderung an. Doch egal, wie sehr er hampelte und wackelte, seine riesige, vollgefressene Wampe versperrte ihm den Weg. Nach kurzer Zeit war Jage völlig erschöpft. Man stelle sich vor, man muss einen Marathon rennen und währenddessen ins Schwarze einer kleinen Zielscheibe treffen – und all dies, nachdem man sich bei der Party des besten Freundes den Bauch vollgeschlagen hat! Der Tag war heiss und Jage strengte sich sehr an. Er musste regelmäβig Pausen einlegen, um wieder zu Atem zu kommen. Uvumiliva, „die Geduldige“, war während der ganzen Zeit äusserst kooperativ. Aber würde das ausreichen?

Es war wahrlich nicht Jages bester Tag. In einem Moment der Schwäche versuchte er sogar, jemand anderen für sein Elend verantwortlich zu machen. Einer seiner Rivalen, Nyemeleo, der im Shamba Clan geboren und kürzlich in den Ngoitokitok Clan eingewandert war, beäugte das Paar bei seinen Bemühungen. Doch Nyemeleo war natürlich nicht der Grund für Jages Leid, denn er hielt sich vornehm zurück. Nyemeleos Interesse an dem Paar könnte man zwar als unehrenhaft bezeichnen. Wahrscheinlich wollte er aber einfach nur seinen durchtrainierten Körper und perfekt geformten Bauch zur Schau stellen, in der Hoffnung, dass Uvumiliva ihre Meinung ändern und ihn dem plump-pummeligen Rivalen Jage vorziehen würde. Nyemeleos Anwesenheit beeinträchtigte jedoch offensichtlich Jages Anstrengungen, sich auf sein Ziel zu konzentrieren.

Verliebte Hyänen mögen es nämlich gern diskret und ziehen sich zur Zweisamkeit lieber in abgelegene Gebiete ihres Territoriums zurück. Nach stundenlanger Beobachtung der Szene (aus rein wissenschaftlichem Interesse natürlich!) mussten wir das Trio leider verlassen. Wir drückten Jage wirklich die Daumen, hatten jedoch wenig Hoffnung, dass die Geschichte an dem Tag noch zu einem guten Ende kommen würde.

Knapp vier Monate später – der durchschnittlichen Tragzeit bei Tüpfelhyänen – waren wir gespannt auf das Ergebnis. Wir warteten aber leider vergeblich darauf, dass Uvumiliva als Ergebnis jenes anstrengenden Tages kleine schwarze Jungtiere zur Welt bringen würde. Damit war klar, dass Jages Bemühungen im wahrsten Sinne nicht gefruchtet hatten und dass auch Nyemeleo keine Gelegenheit erhalten hatte, seine Fähigkeiten als Liebhaber unter Beweis zu stellen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass Jage eine Lehre aus dieser unglücklichen Wendung der Ereignisse gezogen hat und sich in Zukunft zweimal überlegen wird, ob er sich den Magen wieder so voll schlägt.

Die Moral der Geschichte: Weniger (essen) ist manchmal mehr (Liebe).

Hier geht’s zum Video mit Jages Fehlversuchen:


NEUES VOM KRATER

Bei Tüpfelhyänen sind Nesthocker keine Verlierer!

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Verliebt sein ist auch für Hyänenmännchen nicht immer einfach

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Verliebt sein ist auch für Hyänenmännchen nicht immer einfach

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Von Eve Davidian

Hat ein Tüpfelhyänen-Männchen einmal richtig Feuer für ein Weibchen gefangen, ist es sehr hartnäckig. Es folgt dem Weibchen auf Schritt und Tritt, legt sich nur wenige Meter von ihm hin wenn es sich ausruht, beobachtet es, wenn es eine Bewegung macht, und folgt ihm, wenn es aufsteht und woanders hinläuft. Manche Männchen werden zu regelrechten Stalkern. Männchen verfolgen diese anstrengende Strategie, um zu ihrem auserwählten Weibchen eine enge Beziehung aufzubauen – und mehr, falls das Weibchen Interesse zeigt… Nahe bei einem Weibchen zu verweilen erlaubt einem Männchen auch, Rivalen zu vertreiben, die dem Weibchen nahe kommen und ebenfalls eine Beziehung aufbauen wollen, oder das Weibchen zu verteidigen, wenn es von einem anderen Männchen belästigt wird – aggressive Belästigungen durch Männchen gibt es immer wieder, doch ist diese Taktik im Gegensatz zu freundlichen Avancen weniger erfolgreich, denn Hyänenweibchen bevorzugen freundliche Männchen als Väter ihrer Nachkommen.

Vor einiger Zeit war Kondo, eines der Männchen des Ngoitokitok-Clans, sehr an Aiba interessiert und folgte ihr überall hin. Aiba schien kein Problem damit zu haben, diesen nicht mehr ganz jungen Kerl dauernd um sich zu haben, und eigentlich waren sie ein recht süßes Paar, wenn sie nahe beieinander auf ihrem Rastplatz schliefen. Eines Tages beobachteten wir zufällig, wie Aiba aufstand und sich vom Rastplatz entfernte – und damit auch von Kondo. Dieser befand sich zu dem Zeitpunkt im Tiefschlaf und merkte nichts vom Verschwinden seiner Freundin. 15 Minuten später erwachte er und suchte sofort intensiv nach Aiba. Als er realisierte, dass sie nicht mehr da war, schnüffelte er den Boden ab, um ihre Spur aufzunehmen. Er sah äußerst nervös aus, wie er so umherrannte und verzweifelt nach Hinweisen suchte, die Ohren spitzte und wieder weiterrannte… Es war offensichtlich, dass er verzweifelt auf der Suche nach ihr war.

Wir hatten Mitleid mit ihm und versuchten, ihm Hinweise zu geben, wohin seine Auserwählte gelaufen war, aber er schenkte uns keinerlei Beachtung, sondern war einzig und allein darauf fixiert, die Fährte von Aiba aufzunehmen. Unglücklicherweise entschied er sich für die falsche Richtung und hatte sie auch nach einer Stunde intensiver Suche nicht gefunden. Der Arme hatte alles auf dieses bestimmte Weibchen gesetzt und sich seit mehr als zwei Wochen um es bemüht. Würde er sie nicht bald finden, würde er noch einmal von Neuem anfangen und ein anderes Weibchen beschatten müssen. Aber keine Sorge! Als wir Kondo drei Tage später wiedersahen, war er wieder mit Aiba vereint. Es scheint, als ob Aiba Kondo seinen Mangel an Aufmerksamkeit letzten Endes nicht übel genommen hat.

Hier sieht man, wie ein Männchen aussieht, das verzweifelt seine Angebetete sucht:


NEUES VOM KRATER

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Drillinge haben überlebt!

Von Oliver Höner Genetische Analysen bestätigten kürzlich, dass im Forest-Clan ein Drillingswurf bis zum Erwachsenenalter überlebte. Dies ist erst der dritte jemals dokumentierte Fall einer erfolgreichen Drillingsaufzucht bei Tüpfelhyänen! Dass es Hyänenmütter in freier Wildbahn schaffen, alle drei Jungtiere bis ins Erwachsenenalter von ca. zwei Jahren großzuziehen, ist so selten und erstaunlich, weil Tüpfelhyänenweibchen nur…

Macht ohne Muskeln: Warum bei Hyänen die Frauen dominieren

Von Oliver Höner und Eve Davidian In vielen Tiergesellschaften gibt es eine klare Hierarchie der Geschlechter. Dominiert dabei immer das aggressivere oder stärkere Geschlecht, wie allgemein angenommen wird? Nein! Zumindest bei Tüpfelhyänen dominieren die Weibchen, weil sie auf größere Unterstützung durch Artgenossen zählen können. Unterschiede in individuellen Eigenschaften wie Aggressivität oder körperliche Stärke spielen keine…