Mensch-Raubtier-Konflikte: Emotionen und Kultur sind wichtiger als Viehverluste

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Von Arjun Dheer und Oliver Höner

Mensch-Wildtier-Konflikte sind meist vielschichtig und „Einheitslösungen“ gibt es nicht. Eines gilt jedoch immer: langfristig lösbar sind sie nur dann, wenn die betroffenen Menschen bei Managemententscheidungen zum Zusammenleben mit Wildtieren mit ins Boot genommen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Großraubtiere wie Wölfe, Löwen und Bären geht, denn zu Großraubtieren pflegen wir Menschen seit je her eine Hassliebe: wir bewundern ihre Kraft und Anmut, fürchten uns gleichzeitig jedoch vor Angriffen auf uns und unsere Nutztiere.

Wie erreicht man, dass Managementstrategien akzeptiert werden? Als erstes muss geklärt werden, welche Faktoren die Akzeptanz beeinflussen. Dabei lag der Fokus bisher meist auf der durch die Raubtiere verursachten Verluste an Vieh. Es galt: je mehr Vieh von Raubtieren gerissen wird, desto mehr Viehhalter befürworten die Umsiedlung oder den Abschuss von Raubtieren. Neuere Studien zeigten jedoch, dass auch andere Faktoren wichtig sein können: positive Emotionen wie Freude und die kulturelle Bedeutung erhöhen die Akzeptanz von naturschutzorientierten Managementstrategien, und negative Emotionen wie Furcht erhöhen die Akzeptanz invasiver Strategien. Diese Faktoren wurden bisher jedoch noch nie gleichzeitig untersucht. Folge: es ist unklar, was die Akzeptanz am stärksten beeinflusst und welche Faktoren bei der Suche nach Lösungen von Mensch-Raubtier-Konflikten favorisiert werden sollten.

Wie gingen wir der Frage nach? Wir untersuchten den Einfluss von Emotionen, kultureller Bedeutung und Viehverlusten auf die Akzeptanz der drei Managementstrategien ‚Nichtstun‘, ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘. Diese Strategien werden in unserem Untersuchungsgebiet, dem Ngorongoro-Schutzgebiet, aber auch in vielen anderen Gebieten angewandt, in denen sich Menschen und Großraubtiere den Lebensraum teilen.

Dazu befragten wir 100 Massai zur kulturellen Bedeutung der drei größten Raubtiere Afrikas (Tüpfelhyänen, Löwen, Leoparden) und den Emotionen (Freude, Abscheu, Furcht), die sie gegenüber den Raubtieren empfinden. Wir fragten zudem, wie viele ihrer Rinder, Ziegen, Schafe und Esel in den vorangegangenen drei Jahren von Raubtieren gerissen wurden, und wie stark sie welche Managementstrategien befürworten.

Das Ergebnis: Emotionen und die kulturelle Bedeutung beeinflussen die Akzeptanz von Managementstrategien stärker als der Verlust an Vieh. Bei den Emotionen hatte Freude den stärksten Einfluss; Freude und die kulturelle Bedeutung erhöhten die Akzeptanz von ‚Nichtstun‘ und reduzierten die Akzeptanz von ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘. Insgesamt lehnte eine große Mehrheit der Befragten ‚Umsiedlung‘ und ‚Abschuss‘ ab. Der Verlust an Vieh war unbedeutend für die Akzeptanz der Managementstrategien, vielleicht weil viel mehr Vieh Krankheiten zum Opfer fällt als Raubtieren.

Die Erkenntnis:

Emotionale und kulturelle Aspekte sind wichtig für Mensch-Wildtier-Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass durch die Raubtiere verursachte Verluste an Vieh keine Rolle spielen, deutet aber darauf hin, dass ihre Rolle bisher überbewertet wurde. Mehrgleisige Ansätze, die Emotionen und die kulturelle Bedeutung untersuchen und die lokale Bevölkerung bei der Suche nach Lösungen eng miteinbinden, helfen, den Weg für ein dauerhaftes Zusammenleben von Menschen und Großraubtieren zu ebnen.


Original-Veröffentlichung:

Dheer A, Davidian E, Jacobs MH, Ndorosa J, Straka TM, Höner OP (2021) Emotions and cultural importance predict the acceptance of large carnivore management strategies by Maasai pastoralists. Frontiers in Conservation Science 23,1-13.


Fressen oder sich paaren, das ist hier die Frage

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Von Eve Davidian

Das ultimative Ziel aller lebenden Organismen ist es, sich fortzupflanzen. Um sich aber paaren zu können, muss man erst einmal lange genug überleben – und dafür muss man (fr)essen. Je mehr desto besser? Nun ja, eine gute Ernährung macht gesund, gibt Kraft und erhöht dadurch die Chancen beim anderen Geschlecht. Aber übermäßiges und gieriges Schlemmen kann auch von Nachteil sein.

So passierte es neulich Jage, einem Männchen aus dem Ngoitokitok Clan. Er wollte alles auf einmal: eine ausgiebige Mahlzeit und den Erfolg bei einem Hyänenweibchen. Am Ende musste er am eigenen Leib erfahren, dass man sich manchmal im Leben für eine Sache entscheiden muss. Nach monatelangem Werben gewann Jage die Gunst eines jungen, hochrangigen Weibchens seines Clans: Uvumiliva, „die Geduldige“ (Suaheli), war die Auserwählte. Aber es gab einen Haken: Jage hatte kurz zuvor kräftig gefuttert und sein Bauch war so prall gefüllt, dass er hinderlich war und Jage seine lang ersehnte Chance nicht ergreifen konnte.

Man muss dafür wissen, dass die Paarung für Tüpfelhyänen-Männchen auch unter normalen Umständen ein schwieriges Unterfangen ist. Das hat anatomische Gründe. Bei den Weibchen der Tüpfelhyänen ist die Klitoris stark verlängert und zu einem engen sogenannten Pseudopenis geformt. Eine erfolgreiche Paarung erfordert deshalb die volle Kooperation des Weibchens: sie muss dabei ruhig stehen, ihren Kopf senken und den Pseupopenis einziehen. Aber auch bei der vollen Bereitschaft des Weibchens braucht das Männchen akrobatische Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Die meisten Männchen benötigen viel Zeit und Übung, bis sie den Ablauf beherrschen. Männchen mit wenig Erfahrung sind meist ungeschickt und stellen die Geduld der Weibchen auf eine harte Probe.

An jenem Tag nahm Jage die Herausforderung an. Doch egal, wie sehr er hampelte und wackelte, seine riesige, vollgefressene Wampe versperrte ihm den Weg. Nach kurzer Zeit war Jage völlig erschöpft. Man stelle sich vor, man muss einen Marathon rennen und währenddessen ins Schwarze einer kleinen Zielscheibe treffen – und all dies, nachdem man sich bei der Party des besten Freundes den Bauch vollgeschlagen hat! Der Tag war heiss und Jage strengte sich sehr an. Er musste regelmäβig Pausen einlegen, um wieder zu Atem zu kommen. Uvumiliva, „die Geduldige“, war während der ganzen Zeit äusserst kooperativ. Aber würde das ausreichen?

Es war wahrlich nicht Jages bester Tag. In einem Moment der Schwäche versuchte er sogar, jemand anderen für sein Elend verantwortlich zu machen. Einer seiner Rivalen, Nyemeleo, der im Shamba Clan geboren und kürzlich in den Ngoitokitok Clan eingewandert war, beäugte das Paar bei seinen Bemühungen. Doch Nyemeleo war natürlich nicht der Grund für Jages Leid, denn er hielt sich vornehm zurück. Nyemeleos Interesse an dem Paar könnte man zwar als unehrenhaft bezeichnen. Wahrscheinlich wollte er aber einfach nur seinen durchtrainierten Körper und perfekt geformten Bauch zur Schau stellen, in der Hoffnung, dass Uvumiliva ihre Meinung ändern und ihn dem plump-pummeligen Rivalen Jage vorziehen würde. Nyemeleos Anwesenheit beeinträchtigte jedoch offensichtlich Jages Anstrengungen, sich auf sein Ziel zu konzentrieren.

Verliebte Hyänen mögen es nämlich gern diskret und ziehen sich zur Zweisamkeit lieber in abgelegene Gebiete ihres Territoriums zurück. Nach stundenlanger Beobachtung der Szene (aus rein wissenschaftlichem Interesse natürlich!) mussten wir das Trio leider verlassen. Wir drückten Jage wirklich die Daumen, hatten jedoch wenig Hoffnung, dass die Geschichte an dem Tag noch zu einem guten Ende kommen würde.

Knapp vier Monate später – der durchschnittlichen Tragzeit bei Tüpfelhyänen – waren wir gespannt auf das Ergebnis. Wir warteten aber leider vergeblich darauf, dass Uvumiliva als Ergebnis jenes anstrengenden Tages kleine schwarze Jungtiere zur Welt bringen würde. Damit war klar, dass Jages Bemühungen im wahrsten Sinne nicht gefruchtet hatten und dass auch Nyemeleo keine Gelegenheit erhalten hatte, seine Fähigkeiten als Liebhaber unter Beweis zu stellen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass Jage eine Lehre aus dieser unglücklichen Wendung der Ereignisse gezogen hat und sich in Zukunft zweimal überlegen wird, ob er sich den Magen wieder so voll schlägt.

Die Moral der Geschichte: Weniger (essen) ist manchmal mehr (Liebe).

Hier geht’s zum Video mit Jages Fehlversuchen:


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