Familienbanden bestimmen die Hilfsbereitschaft im Alter

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Von Oliver Höner und Eve Davidian

Warum helfen manche Tiere den Mitgliedern ihrer Gruppe während andere immer nur für sich schauen? Und weshalb hängt die Hilfsbereitschaft von Alter und Geschlecht ab? In unserer neuen, von Kolleg:innen der Universität Exeter geleiteten und in Nature Ecology & Evolution erschienenen Studie, beleuchten wir die möglichen Ursachen für Veränderungen in der Hilfsbereitschaft von gruppenlebenden Tieren. Anhand von Daten von sieben Säugetierarten – darunter Tüpfelhyänen – zeigen wir, dass sich die Anzahl der Verwandten, die ein Individuum in der Gruppe hat, im Laufe des Lebens ändern kann und sich oft zwischen Weibchen und Männchen unterscheidet. Diese „Verwandtschaftsdynamik“ hat einen großen Einfluss auf den Anreiz eines Individuums, seinen Gruppenmitgliedern zu helfen.

Wer in einer Gruppe von nahen Verwandten lebt, sollte Interesse daran haben, seinen Gruppenmitgliedern zu helfen, denn Individuen zu helfen, die Gene mit einem teilen, wie z. B. Nachkommen und Geschwister, ist ein bisschen wie sich selbst zu helfen. Lebt man dagegen unter entfernt verwandten oder nicht verwandten Individuen – z. B. Cousins und Cousinen zweiten Grades oder völlig Fremden – sollte man egoistisch handeln. Was aber geschieht, wenn sich die Zahl der Verwandten in einer sozialen Gruppe mit der Zeit verändert, zum Beispiel wenn Familienmitglieder wegziehen oder sterben? Um diese Frage zu beantworten und eine Vorstellung davon zu bekommen, was bei Säugetieren vor sich geht, haben wir uns mit Wissenschaftlern zusammengetan, die an anderen coolen Tieren arbeiten: Schwertwalen, Steppenpavianen, Zebramangusten, Schimpansen, Rhesusaffen, und Europäischen Dachsen.

Die sieben Arten wurden nicht zufällig ausgewählt. Unsere Kollegen aus Exeter wollten die „crème de la crème“ der Wildtierdatenbanken für die Analysen heranziehen, also diejenigen Arten, bei denen detaillierte genetische Stammbäume einer Population verfügbar waren sowie demographische Informationen über die Lebensdauer vieler Individuen der Population. Der Tüpfelhyänen-Datensatz zum Beispiel umfasste Daten zu der Lebensgeschichte, d.h. zu Geburt, Fortpflanzung und Tod, von mehr als 2000 Individuen aus neun Generationen! Dafür mussten die acht Hyänenclans des Ngorongoro Kraters während 26 Jahren kontinuierlich beobachtet werden (lest hier, wie wir Hyänen beobachten). Wichtig für die Studie war zudem, dass sich die Arten in zwei wesentlichen Merkmalen ihres Sozialsystems voneinander unterscheiden:

  1. Abwanderung: Verlassen gewisse Hyänen (Männchen, Weibchen, beide, keines der Geschlechter) eher ihre Geburtsgruppe als andere?
  2. Paarung: Verpaaren sich die Hyänen mit Mitgliedern ihrer eigenen, „lokalen“ Gruppe oder bevorzugen sie Partner aus „fremden“ Gruppen?

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Abwanderungs- und Paarungsmuster beeinflussen die Verwandtschaftsdynamik. Wir fanden heraus, dass sich die Anzahl der Verwandten, die eine Hyäne im Clan hat, im Laufe des Lebens verändert. Unsere Analysen ergaben zudem, dass die Richtung der Veränderung, also ob sie zu- oder abnimmt, von den Abwanderungs- und Paarungsmustern der Art bestimmt wird. Dies bedeutet, dass die Verwandtschaftsdynamik von Art zu Art variiert, und dass sich die Muster oft auch zwischen Männchen und Weibchen derselben Art unterscheiden.

Verwandtschaftsdynamik könnte erklären, warum weibliche Schwertwale in die Wechseljahre kommen. Bei Schwertwalen verlässt keines der beiden Geschlechter seine Geburtsgruppe und sowohl Söhne als auch Töchter bleiben das ganze Leben bei ihren Müttern. Die Folge davon ist, dass erwachsene Weibchen mit zunehmendem Alter mit immer mehr Nachkommen und Enkelkindern zusammenleben und auch um Futter und Paarungspartner konkurrieren. Eine Strategie, mit einer solchen Situation umzugehen ist, sich vermehrt um die Nachkommen und Enkel zu kümmern, auf Kosten der eigenen Fortpflanzung. In der Tat kümmern sich Schwertwalweibchen im Alter immer intensiver um ihre Nachkommen und geben irgendwann ihre eigene Fortpflanzung ganz auf und treten in eine Menopause, als eine der ganz wenigen Tierarten außer uns Menschen (mehr dazu hier). Im Gegensatz dazu sind die Schwertwalmännchen nicht eng mit den Nachkommen ihrer Gruppe verwandt, da sie sich mit Weibchen aus anderen Gruppen verpaaren. Sie haben deswegen mit zunehmendem Alter immer weniger Verwandte in der Gruppe und sind im Alter nicht hilfsbereiter.

Bei Tüpfelhyänen sollten die Männchen mit zunehmendem Alter hilfsbereiter werden. Bei männlichen Tüpfelhyänen fanden wir heraus, dass die Zahl der nahen Verwandten im Alter zunimmt, während sie bei weiblichen Hyänen abnimmt. Dieses Muster ist die Folge davon, dass bei Hyänen die Männchen viel eher aus- und in eine andere Gruppe einwandern als Weibchen. Weil die Mütter, älteren Schwestern und Tanten irgendwann sterben, leben Weibchen mit zunehmendem Alter unter immer weniger nahen Verwandten. Männchen hingegen haben zwar zu Beginn ihrer Zeit in der neuen Gruppe keine oder nur wenige Verwandte, aber die Anzahl Verwandten nimmt stetig zu, da die Männchen Töchter zeugen, die zuhause bleiben. Diese Verwandtschaftsdynamik müsste die Männchen dazu verleiten, mit zunehmendem Alter immer mehr anderen Gruppenmitgliedern zu helfen, während die Weibchen egoistischer werden dürften. Um zu beurteilen, ob dies tatsächlich der Fall ist, werden wir das Verhalten der Hyänen weiter im Detail untersuchen und Euch hoffentlich bald erste Ergebnisse mitteilen. Besucht uns also bald wieder!


Originalarbeit

Ellis S, Johnstone RA, Cant MA, Franks DE, Weiss MN, Alberts SC, Balcomb KS, Benton CH, Brent LJN, Crockford C, Davidian E, Delahay RJ, Ellifrit DK, Höner OP, Meniri M, McDonald RA, Nichols HJ, Thompson FJ, Vigilant L, Wittig RM, Croft DP (2022) Patterns and consequences of age-linked change in local relatedness in animal societies. Nature Ecology & Evolution.

Weitere Informationen

Davidian E, Courtiol A, Wachter B, Hofer H, Höner OP (2016) Why do some males choose to breed at home when most other males disperse? Science Advances 2 e1501236.

Höner OP, Wachter B, East ML, Streich WJ, Wilhelm K, Burke T, Hofer H (2007) Female mate-choice drives the evolution of male-biased dispersal in a social mammal. Nature 448:798-801.

Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A*, Höner OP* (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3:71-76. *contributed equally

Macht ohne Muskeln: Warum bei Hyänen die Frauen dominieren

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Von Oliver Höner und Eve Davidian

In vielen Tiergesellschaften gibt es eine klare Hierarchie der Geschlechter. Dominiert dabei immer das aggressivere oder stärkere Geschlecht, wie allgemein angenommen wird? Nein! Zumindest bei Tüpfelhyänen dominieren die Weibchen, weil sie auf größere Unterstützung durch Artgenossen zählen können. Unterschiede in individuellen Eigenschaften wie Aggressivität oder körperliche Stärke spielen keine Rolle.

Tüpfelhyänenmännchen erhalten weniger soziale Unterstützung als ihre weiblichen Artgenossen, weil sie häufiger den Clan wechseln und dabei ihre sozialen Bindungen verlieren. Dies sind die Ergebnisse unserer neuesten, zusammen mit François Rousset vom Institut des Sciences de l’Evolution de Montpellier (ISEM) in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution veröffentlichen Studie.

Tüpfelhyänenweibchen gelten als Paradebeispiel für mächtige und aggressive Weibchen. Sie sind schwerer als die Männchen, haben stark vermännlichte äußere Genitalien („Pseudohoden“ und einen „Pseudopenis“) und nehmen in der Regel die höchste Position in der Gesellschaft ein. Doch ist es nicht ihre Männlichkeit, die sie ihre männlichen Artgenossen dominieren lässt.

Wenn zwei Hyänen streiten, gewinnt diejenige, die auf mehr soziale Unterstützung zählen kann – unabhängig von Geschlecht, Gröβe oder Aggressivität. Dies gilt für nahezu alle Auseinandersetzungen in allen denkbaren Kontexten – zwischen im Clan geborenen und zugewanderten Hyänen, zwischen Tieren aus demselben oder verschiedenen Clans und zwischen Individuen gleichen sowie verschiedenen Geschlechts.

Die Dominanz der Weibchen liegt also darin begründet, dass sie auf größere soziale Unterstützung zählen können als die Männchen. Faszinierenderweise wirkt soziale Unterstützung auch dann, wenn keine anderen Hyänen anwesend sind oder sich niemand einmischt. Letztlich ist das Selbstbewusstsein entscheidend, also wie sicher sich jede Hyäne ist, Unterstützung zu erhalten wenn sie diese braucht.

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Für die Studie werteten wir 4133 Auseinandersetzungen zwischen 748 Tüpfelhyänen aus den acht Clans des Ngorongoro-Kraters in Tansania über einen Zeitraum von 21 Jahren aus. Um die Anzahl möglicher Unterstützer zweier Kontrahenten zu ermitteln, entwickelten wir einen Algorithmus, der für jedes Clanmitglied bestimmte, welchen der beiden Kontrahenten es unterstützen würde.

Der Algorithmus beruht auf vielen Beobachtungen von aktiver Unterstützung und auf den Verwandtschaftsgraden aller Clanmitglieder zueinander. Unser genetischer Stammbaum der Tüpfelhyänen des Ngorongoro-Kraters gehört zu den umfassendsten Stammbäumen wildlebender Säugetierpopulationen.

Klare Dominanzverhältnisse

Männliche und weibliche Hyänen können sich durchschnittlich in den meisten Situationen auf gleich große soziale Unterstützung verlassen und dominieren daher gleich viele Auseinandersetzungen mit dem anderen Geschlecht. Die einzige Ausnahme: wenn im Clan geborene Tiere mit zugewanderten Tieren interagieren. Die Hyänengesellschaft ist stark von Vetternwirtschaft geprägt, unterstützt werden also in erster Linie nahe Verwandte. Einheimische Clanmitglieder leben mit ihren Angehörigen zusammen und haben einen Vorteil gegenüber Zugewanderten, denn diese verlieren ihre sozialen Bande, wenn sie ihren angestammten Clan verlassen. Und weil die meisten Einwanderer Männchen sind, dominieren bei solchen Auseinandersetzungen fast immer die Weibchen.

Das Ausmaß der Weibchen-Dominanz bei Tüpfelhyänen hängt also von der Migrationsneigung der beiden Geschlechter und der demographischen Struktur der Clans ab. Wenn ein Clan einen hohen Anteil zugewanderter Männchen aufweist, ist die Herrschaft der Weibchen fast absolut. Gibt es viele einheimische Männchen, gewinnen Männchen statistisch ebenso häufig Auseinandersetzungen wie Weibchen und die Geschlechter sind gleichermaßen dominant.

Folgerungen der Studie:

Zu wissen, was soziale Dominanz und Geschlechterhierarchien verursacht, hilft uns, besser zu verstehen, wie Reproduktionsstrategien, Geschlechterrollen und Geschlechterkonflikte entstehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Dominanz eines Geschlechts keine direkte Folge des Geschlechts oder geschlechtsspezifischer individueller Eigenschaften sein muss, sondern vom sozialen Umfeld abhängen kann.

Die Erkenntnis, dass soziale Unterstützung eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Dominanz einnimmt, trägt zu einem vertieften Verständnis für die sozialen Auswirkungen von Vetternwirtschaft, politischen Allianzen sowie von Migration in tierischen und menschlichen Gesellschaften bei.


Originalartikel

Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A*, Höner OP* (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3:71-76. *trugen gleich viel bei

In den Medien

Das Hyänen-Phänomen. Die Macht des sozialen Netzwerks. Kerstin Viering, Berliner Zeitung, 19. November 2018.

Mehr Macht durch Freunde. Barbara Reye, Tagesanzeiger, 19. November 2018.

Weitere Informationen

Davidian E, Courtiol A, Wachter B, Hofer H, Höner OP (2016) Why do some males choose to breed at home when most other males disperse? Science Advances 2 e1501236.

Höner OP, Wachter B, East ML, Streich WJ, Wilhelm K, Burke T, Hofer H (2007) Female mate-choice drives the evolution of male-biased dispersal in a social mammal. Nature 448:798-801.